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Muss der störrische Sohn wirklich sterben?

Muss der störrische Sohn wirklich sterben?

Die Tora enthält eine ganze Reihe von schwierigen Stellen. Manche sind schwierig, weil wir sie inhaltlich nicht verstehen. Wiederum andere empfinden wir als schwierig, gerade weil wir sie gut verstehen. Und dann gibt es noch eine dritte Kategorie von schwierig – Verse, deren Aussagen unserem Moralempfinden zuwider laufen. Die von Dingen Reden, die in unseren Ohren falsch klingen.

Solche Bibelpassagen sind auch deshalb so herausfordernd, weil sie unsere Vorstellungen von Gott durcheinanderbringen. Bei manchen lösen sie sogar den Reflex aus, Gott beschützen zu müssen vor Zuschreibungen, die dem eigenen Gottesbild widersprechen. Selbst dann, wenn die Bibel selbst diese unliebsamen Aussagen tätigt. Zu der dritten Kategorie gehören die Verse über den störrischen und widerspenstigen Sohn in Deut 21,18-21 [ELB]:

18 Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der auf die Stimme seines Vaters und auf die Stimme seiner Mutter nicht hört, und sie züchtigen ihn, er aber hört weiterhin nicht auf sie, 

19 dann sollen sein Vater und seine Mutter ihn ergreifen und ihn hinausführen zu den Ältesten seiner Stadt und zum Tor seines Ortes. 

20 Und sie sollen zu den Ältesten seiner Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist störrisch und widerspenstig, er hört nicht auf unsere Stimme, er ist ein Schlemmer und Säufer! 

21 Dann sollen ihn alle Leute seiner Stadt steinigen, dass er stirbt; so sollst du das Böse aus deiner Mitte wegschaffen. Und ganz Israel soll es hören und sich fürchten.

1. Kontextuelle Einordnung von Deut 21,18-21

a) Kontext 5. Buch Mose

Ein wichtiger Aspekt, der zu einem besseren Verständnis beiträgt, ist die Betrachtung des Kontextes unseres Gesetzes. Das 5 Buch Mose wird gerne auch die „Wiederholung des Gesetzes“ bezeichnet, weil es noch einmal die Gesetze, die Gott am Berg Sinai offenbarte, wiedergibt. 

Allerdings spricht diesmal nicht Gott, sondern Mose mit der ihm verliehenen Autorität. Der Prophet steht kurz vor seinem Tod, während die Israeliten sich auf die Landnahme vorbereiten. Nicht umsonst handeln viele Gebote davon, wie in der künftigen Heimat gelebt werden soll.

Interessant ist auch folgende Beobachtung: das 5 Buch Mose weist alle Merkmale eines Vertrags auf, wie sie in der Zeit des Alten Testaments geschlossen wurden. Es handelt sich hierbei also nicht einfach nur um eine Gesetzessammlung, sondern um einen Bundesschluss, den das Volk Israel mit seinem Gott eingeht. Die Gesetzte darin sind die Bedingungen, die im Rahmen dieses Bundes eingehalten werden müssen. Jede Übertretung kommt einem Bundesbruch gleich und zieht Konsequenzen nach sich.

b) Aufbau der biblischen Gesetze

Die Bibel kennt zwei Arten von Gesetzen: auf der einen Seite Gebote und Verbote, die immer mit „Du sollst“ oder „Du sollst nicht“ anfangen, auf der anderen Seite Fallbeschreibungen, sogenannte kasuistische Rechtssätze, die mit einer Sanktion einher gehen. Der vorliegende Text gehört zu den letzteren und hat folgenden Aufbau:

I.              Einführungsformel, im Deutschen mit „Wenn“ übersetzt (V. 18)

II.            Fallschilderung (V. 18-20)

III.          Die Strafe, eingeleitet mit „dann“ (V. 21)

c) Gesetz und Moral/Norm

Der störrische und widerspenstige Sohn, so übersetzt es die Elberfelder Bibel, soll also sterben. Das ist hart und man fragt sich direkt: wann ist ein Sohn störrisch und widerspenstig und wer entscheidet darüber? Wer will überhaupt eine derart weitreichende Entscheidung treffen? Und ist so ein Gesetz nicht anfällig für Missbrauch und Falschbeschuldigungen?

Das schwierige an dieser Stelle ist nicht etwa der Inhalt, denn der ist eindeutig. Nein, die Schwierigkeit, die auch schon die Rabbinen zur Zeit der Abfassung des Talmuds mit dieser Bibelstelle hatten, liegt vielmehr darin, dass hier ein Gesetz vorliegt, dessen Norm wir nicht mehr verstehen geschweige denn teilen. Einfach deshalb, weil das Gesetz in ein sehr intimes Thema eingreift, nämlich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Oder anders formuliert: Gesetz und Moral fallen hier in eins, wir verstehen zwar die Aussage des Gesetzes, aber nicht mehr die dahinter liegende Moral.

2. Auslegung der Rabbinen

Wie ich schon mehrfach angedeutet habe, haben nicht nur wir heute Schwierigkeiten mit dem Text, sondern auch für die Rabbinen war diese Bibelstelle eine Herausforderung. Sie mussten das Gesetz in ihre Gegenwart übersetzen und lebbar machen. Und sie mussten auch darüber nachdenken, missbräuchliche Anwendung so gut es geht auszuschließen.

In der Mischna, die zwischen 190-230 n. Chr. entstanden ist, finden wir die erste Abhandlung zum Thema. Als erstes wird der Versuch unternommen, eine Definition dafür zu finden, ab welchem Alter man überhaupt von einem störrischen und widerspenstigen Sohn sprechen kann.

„Von der Zeit an, da er zwei Haare hat bis ihm ringsherum ein Bart gewachsen ist. Der Untere und nicht der Obere. [gemeint ist das Schamhaar]

Denn es heißt: ein Sohn und nicht eine Tochter. Ein Sohn und nicht ein Mann. Ein Minderjähriger ist nicht haftbar, denn er ist noch nicht in das Gesetz eingetreten.“

                                                    (Mischna Sanhedrin 8 Nezikin)

Mit diesen Einschränkungen wurde zunächst einmal der Zeitrahmen, da das Gesetz überhaupt zur Anwendung hätte kommen können, erheblich eingeschränkt. Ein störrischer Sohn kann demnach nur ein Junge in der Pubertät sein. 

Die Gemara beschränkt später den Zeitraum sogar auf drei Monate innerhalb dieser Zeit. Weiterhin setzen sich die Rabbinen damit auseinander, was der pubertäre Sohn getan haben muss, um als störrischer Sohn zu gelten: 

Zum Beispiel reicht eine einmalige Auflehnung gegen die Eltern nicht, um als störrischer Sohn zu gelten. Es bedarf der Wiederholung. Ja mehr noch, viele Zeugen müssen seine Verstocktheit bestätigen.

„Störrisch und widerspenstig. Der es zweimal war. Der sich selbst einen anderen Weg lehrt. […] Eine andere Auslegung: Störrisch. Gegen die Worte seines Vaters. Und widerspenstig. Gegen die Worte seiner Mutter. Störrisch. Gegen die Worte der Tora. Und widerspenstig. Gegen die Worte der Propheten. Störrisch. Gegen die Worte der Zeugen. Und widerspenstig. Gegen die Worte der Richter.                                                                                                                                                                                            (Sifre Devarim, 218)

Diese Verstocktheit muss sich weiterhin in einem bestimmten Verhalten äußern, was die Rabbinen, bezugnehmend auf V. 20 als Völlerei qualifizieren.

„Wann ist er schuldig? Wenn er ein Tritemor [eine halbe Mine, Gewichtseinheit rund 185g] Fleisch gegessen und einen halben Log [1/4l] italischen Wein getrunken hat. R. Jose sagt: Eine ganze Mine und ein Log Wein“

                                                    (Mischna Sanhedrin 8 Nezikin)

„R. Zeira sagt: Bezogen auf das Tritemor weiß ich nicht, was seine Menge ist. Aber da Rabbi Jose die Menge Wein verdoppelt hat, dann gilt das auch für die Menge an Fleisch. Deshalb entsprich ein Tritemor einer halben Mine.“

                                                                   (Sanhedrin 70a)

Darauf folgen eine ganze Reihe Ausnahmen, wie zum Beispiel Festtage, rituelle Essensaufnahme, generell nicht koscheres Essen oder Essen im Zusammenhang mit einer anderen Sünde, die alle dazu führen, dass der Sohn für nicht für störrisch befunden wird.

Es muss sich also wirklich um einen „Fresser und Säufer“ handeln, der keinen Anlass für seine Völlerei braucht. Und mehr noch: er muss, so die Mischna, darüber hinaus auch noch ein Dieb sein, aber nicht irgendein Dieb, sondern jemand, der seinen Vater beklaut. Die Stoßrichtung liegt auf der Hand: Eine Anwendung des Gesetzes soll weitestgehend verunmöglicht werden. So heißt es denn auch weiter, dass beide, sowohl Vater als auch Mutter einer derartigen Strafe zustimmen müssen, sonst darf sie nicht ausgeübt werden.

„Will der Vater aber die Mutter nicht, oder will der Vater nicht und die Mutter will es, so wird er nicht als störrischer und widerspenstiger Sohn verurteilt, sondern nur, wenn beide es wollen.“ 

                                                    (Mischna Sanhedrin 8 Nezikin)

Natürlich gibt es auch immer noch die Möglichkeit der Vergebung und Barmherzigkeit.

„Rabbi Joshia sagte: Drei Worte sagte mir Zeira im Namen der Männer von Jerusalem. Die Ehebruchsverdächtige – wenn ihr Mann ihr verzeihen will, ist ihr verziehen. Der störrische und widerspenstige Sohn – wenn sein Vater und seine Mutter ihm verzeihen wollen, verzeihen sie ihm. Der gegen den Gerichtshof widerspenstige Alte – wenn seine Kollegen ihm verzeihen wollen, verzeihen sie ihm.“

                                                            (Sifre Devarim, 218)

Weil es laut Talmud ohnehin unzulässig ist, dass Eltern gegen ihre Kinder aussagen und umgekehrt, ist die ganze Diskussion sowieso theoretisch. So heißt es in einem weiteren Traktat

„Einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat es niemals gegeben und wird es niemals geben. Aber warum ist davon geschrieben? Um folgende Lehre zu geben: Erforsche und empfange Lohn.“

                                                                (Tosefta Sanhedrin 11,6; Edition Zuckermandel, Jerusalem 1970)

3. Schlussfolgerungen

Die Rabbinen nehmen die Tora ernst und bemühen sich um ein richtiges Verständnis der darin enthaltenen Weisung. Als Jesus sagte, er sei gekommen, um das Gesetz zu erfüllen (Mt 5,17) meinte er damit nicht ungültig machen. Sondern vielmehr lag ihm daran, es auf sein Zentrum hin zurückzuführen, Gott von ganzem Herzen zu lieben und Nächsten wie sich selbst. Durch seine Auslegung in Wort und Tat gibt er selbst uns einen Schlüssel an die Hand, mit dem wir den Texten des Alten Testaments begegnen und ihre Intention erfassen können. Natürlich bleibt eine Spannung zwischen Tanach und dem Neuen Testament. Allerdings ist Rückzug die schlechteste Entscheidung damit umzugehen. Wenn wir wirklich glauben und darauf vertrauen, dass die gesamte Schrift von Gott eingegeben wurde, dann sollten uns schwierige Stellen wie die über den störrischen Sohn nicht schrecken.

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